Queer gesehen:
Neue Blicke auf die Kunstgeschichte

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17. Juni 2025

Queere Lesarten in der Kunstgeschichte: Raum für das Dazwischen

Ein warmer Juniabend, ein virtueller Raum voller gespannter Aufmerksamkeit und mittendrin: Eine Einladung zum Perspektivwechsel. Zur Juniausgabe des ArtVenture Clubs e.V. durften wir Dr. Sarah Sandfort begrüßen, die uns mit großer Expertise und noch größerer Leidenschaft in queere Lesarten der Kunstgeschichte einführte. Was wie eine akademische Übung beginnen könnte, wurde schnell zu einer emotionalen, nachdenklich stimmenden Reise durch Zeit, Körperbilder, Machtverhältnisse und nicht zuletzt durch unsere eigenen Sehgewohnheiten. Mit dem Queer Reading als Erkenntnismoment.

Sarah Sandfort begann mit zwei ikonischen Werken der Kunstgeschichte: Caravaggios “Bacchino Malato” (ca. 1593, Galleria Borghese, Rom)und Donatellos “David” (1430–1440, Museo Nazionale della Scultura, Florenz). Doch statt diese aus dem Blick der etablierten Kunstgeschichtsschreibung zu deuten, eröffnete sie uns ein anderes, ein queeres Sehen. Es war, als würde sich ein neuer Raum im Bild auftun: Verletzlichere Körper, ambivalente Posen, Erotik ohne eindeutige Zuschreibungen.

Gleichzeitig zeigte Sarah mit großer Sorgfalt, wie wichtig es ist, historische Kontexte ernst zu nehmen. Queer Reading ist kein rückwirkendes Labeln, sondern ein behutsames Offenlegen der Leerstellen, Andeutungen und Möglichkeiten in Kunst und Geschichte – und damit auch ein Akt der Anerkennung jener Lebensweisen, die oft ausgeblendet bleiben. Queeres Denken in der Kunstgeschichte bedeutet auch, sich mit Machtverhältnissen auseinanderzusetzen: In den Bildern, in den Institutionen, in uns selbst. Diese Auseinandersetzung ist unbequem, manchmal schmerzhaft, aber auch enorm befreiend, weil sie neue Sichtweisen, neue Verbundenheit und neue Möglichkeiten schafft.

Im Anschluss an den Vortrag folgte unter Leitung unserer Moderatorin Urte Ehlers ein gemeinsames Nachdenken und eine intensive offene Diskussion.

Wie können queere Perspektiven in der Kunstvermittlung verankert werden?

Welche Barrieren bestehen in Institutionen?

Und welche Hebel könnten sie verschieben?

Die Teilnehmenden berichteten von ihren Erfahrungen aus Museen, Seminarräumen, kuratorischer Praxis und Kunstvermittlung. Immer wieder wurde deutlich: Es braucht Mut, Räume des Dazwischen zuzulassen. Räume, in denen nicht alles erklärt, aber vieles gefragt werden darf. In Gesprächen zwischen Theorie und Praxis, zwischen Alltag und Utopie entstand dabei eine spürbare Verbundenheit; eine Ahnung davon, was möglich wäre, wenn Kunstgeschichte sowohl die Geschichte von der Kunst als auch die Geschichte vieler Perspektiven in der Kunst wird.

Für den ArtVenture Club e.V. war diese Veranstaltung mehr als ein Vortragsabend. Sie war eine lebendige Bestätigung für unser Selbstverständnis: Dass wir ein Ort sein wollen, an dem Perspektivenvielfalt mitgedacht und aktiv ermöglicht wird, ein ideeller Raum für eine gerechte, diverse und reflexive Kunstwelt. Am Ende des Abends stand daher kein Schlusspunkt, sondern ein Vorschlag zur Fortsetzung: Gemeinsam, offen, neugierig eine Ausstellung besuchen, die sich explizit mit queeren Ansätzen befasst.

Wir danken Dr. Sarah Sandfort von Herzen für ihre kluge, engagierte und berührende Arbeit. Und wir danken allen, die diesen Abend mit ihren Gedanken, Fragen und Erfahrungen bereichert haben. (NK)

Die Veranstaltung wurde von Urte Ehlers (Kunstvermittlerin, Landsberg am Lech) und Sarah Neuwirth (Nachhaltigkeitsexpertin, Dortmund) moderiert.

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