Globale Kunstgeschichte

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Glo|ba|le Kunst|ge|schich|te, die: Die Globale Kunstgeschichte (auch “Global Art History”) bezeichnet einen Ansatz innerhalb des Fachs, der versucht, die eurozentrische Sichtweise auf die Kunstwelt zu überwinden und eine inklusive Disziplin zu schaffen. Bei der globalen Kunstgeschichte werden traditionelle Zugänge zur Kunst hinterfragt und um alternative Perspektiven und Narrative erweitert.

Kunst trägt zum Aufbau der Gesellschaft bei; sie ist Teil ihrer Identität. Die Menschen finden sich selbst und lernen andere durch künstlerische Ausdrucksformen kennen. In diesem Sinne haben die verschiedenen Kulturen ihre unterschiedlichen Stimmen, die weder besser noch schlechter sind, sondern (alle) einzigartig.

(Cris / art24.world, 2023)

Innerhalb der Kunstgeschichte wurde lange Zeit vor allem die Kunst aus Europa und später auch aus Nordamerika als wichtig angesehen. Die Kunsthistoriker:innen haben sich hauptsächlich mit Kunstwerken aus diesen Regionen der Erde beschäftigt. Objekte aus anderen Teilen der Welt wurden oft übersehen oder als weniger bedeutsam bewertet. Das führte dazu, dass Kunst wie zum Beispiel afrikanische Maskenschnitzerei, chinesische Kalligrafie, Tempelkunst aus Indien oder die traditionelle Kunst der australischen Aboriginals und weiterer indigener Völker* zu wenig Sichtbarkeit und Anerkennung erhielt. Damit war unser Verständnis von Kunst entsprechend eng, übersah häufig die größeren transkulturellen* Verflechtungen und verpasste viele herausragende Errungenschaften anderer Kulturen.

Heute gibt es zunehmend Bemühungen, den bisherigen Kanon der Kunstgeschichte global zu erweitern. Mit dem Ziel, Kunst aus allen Kulturen und Ländern gleichberechtigt zu untersuchen und zu würdigen, werden traditionelle Annäherungsweisen an die Kunst(-geschichte) hinterfragt. Die bisherige Kunstgeschichtsschreibung wird nach und nach und im Austausch mit Menschen aus den jeweiligen Kulturkreisen erweitert. Auf diese Weise können alternative Erfahrungs-, Erzähl- und Interpretationsebenen sowie ein neues Bewusstsein der Gleichzeitigkeit von Errungenschaften verschiedener Kulturen entstehen. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf nicht-westlichen Bildpraktiken und Kunstkonzepten.

Diese Herangehensweise stellt eine radikale Erweiterung der methodischen und theoretischen Zugänge in der Kunstgeschichte dar, bei dem sich der Blick über die westliche Tradition hinaus auf die Kunst aller Teile unserer Welt richtet.

Alle Kulturen sind, zum Teil aufgrund ihres Herrschaftscharakters, ineinander verstrickt; keine ist vereinzelt und rein, alle sind hybrid, heterogen, hochdifferenziert und nichtmonolithisch.

(Edward W. Said, amerikanischer Literaturkritiker)1

Indigene Völker:
Ein Begriff, der von den Vereinten Nationen genutzt wird, um die frühere Bezeichnung “Ureinwohner” zu ersetzen. Eine völkerrechtlich verbindliche Definition für den Begriff gibt es nicht, wichtig ist eine klare Abgrenzung von dem Begriff “Minderheiten”. In der Satzung des World Council of Indigenous Peoples (WCIP) heißt es: “Indigene Völker bestehen aus Menschen, die in Ländern mit unterschiedlichen ethnischen oder rassischen Gruppen leben, die von der frühesten Bevölkerung abstammen, die in diesem Gebiet überlebten und die als Gruppe nicht die nationale Regierung der Länder kontrollieren, in denen sie leben.” Weltweit gibt es schätzungsweise 370 Millionen Indigene, die etwa 5.000 Völker bilden.

transkulturell:
Ein Begriff, der davon ausgeht, dass Kulturen nicht homogen und klar voneinander abgrenzbar sind, sondern sich durch Prozesse wie Globalisierung, Migration und Austausch zunehmend vernetzen und vermischen. Im Gegensatz dazu betont der Begriff “interkulturell” den Dialog und das Nebeneinander verschiedener, als getrennt wahrgenommener Kulturen.

1 zitiert in: Badisches Landesmuseum, WeltKultur / GlobalCulture, 2014, S. 4.

Cultural Connectedness

Mit dem Ansatz der cultural interconnectedness (deutsch: kulturelle Verflechtung) werden bisher wenig beachtete Verbindungen und Interaktionen zwischen verschiedenen Kulturen neu betrachtet und gesamtheitlich bewertet.

Der Begriff stammt aus den Kulturwissenschaften und der Globalisierungsforschung und beschreibt Verbindungen und Interaktionen, bei denen verschiedene Kulturen voneinander lernen und sich Innovationen ausbreiten können. Demgegenüber steht die kulturelle Isolation.

Kulturelle Verflechtungen entstehen über Ländergrenzen hinaus durch Austausch und gegenseitige Beeinflussung von Ideen, Werten, Traditionen und Praktiken. Begünstigt werden diese Wechselwirkungen durch Migration, Handel, Globalisierung, Medien und ähnliche Prozesse, durch die Kulturen stärker miteinander in Kontakt kommen.

Beispiele für kulturelle Verflechtungen

Während es sich bei der Globalen Kunstgeschichte noch um einen vergleichsweise jungen Ansatz innerhalb der Kunstforschung handelt, standen die Kulturen selbst schon immer im Austausch miteinander: Ob durch Wanderbewegungen während der Steinzeit oder im 1. Jahrtausend, durch Expansionen wie der des Römischen Reiches, des Islams oder der Conquista, über Handelsrouten wie der Seidenstraße oder den Gewürzrouten, durch Kolonialismus und Sklavenhandel oder heute durch das Internet und die Sozialen Medien.

Auch in der Kunstgeschichte gibt es zahlreiche Beispiele für den Kulturaustausch: Das Motiv von Maria und dem Jesuskind, das an die ägyptische Darstellung von Isis und Horus erinnert; Gentile Bellini, der auf Einladung von Sultan Mehmet II. an den osmanischen Hof kam, um das Portrait des Herrschers zu malen; aus Japan importierte Farbholzschnitte, an denen Vincent van Gogh sich orientierte, oder der Impressionismus, der dann wiederum japanische Künstler wie Kuroda Seiki inspirierte.

Abbildungen

Abb. 1: Unbekannte:r Künstler:in, Thronende Isis mit dem Horusknaben (Isis lactans), Statuette, 26. Dynastie, Fayence, 9,7 x 3,2 x 6,1 cm, aus Sheikh Abd el-Qurna, Ägypten, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Staatliche Museum zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz, Foto: Sandra Steiß, CC BY-SA 4.0, Bild: recherche.smb.museum

Abb. 2: Unbekannte:r Künstler:in, Thronende Jungfrau mit Kind (Madonna Lactans), Skulptur, spätes 15. Jh., Holz, bemalt und vergoldet, 26,4 x 16,5 x 12,7 cm, aus dem Rheintal, Metropolitan Museum of Art, New York, NY, Public Domain, Bild: metmuseum.org

Abb. 3: Gentile Bellini (geb. 1429 in Venedig, Italien, gest. 1507, ebend.), Sultan Mehmet II., Malerei, 1480, Öl auf Leinwand, möglicherweise von Holz übertragen, Übermalung aus dem 19. Jahrhundert, 69,9 x 52,1 cm, The National Gallery / Dauerleihgabe an das Victoria & Albert Museum, London, UK, CC BY-NC-ND 4.0, Bild: nationalgallery.org.uk

Abb. 4: Utagawa Hiroshige (geb. 1797 in Edo, Japan, gest. 1858 ebend.), Plötzlicher Sommerregensturm über der Ohami-Brücke in Atake, aus der Serie Die 100 berühmten Ansichten von Edo, Farbholzschnitt (nishiki-e), 1857, Tinte und Farbe auf Japanpapier, 35,9 x 24,4 cm, Minneapolis Institute of Art, Minneapolis, MN, Public Domain, Bild: collections.artsmia.org

Abb. 5: Vincent van Gogh (geb. 1853 in Zundert, Niederlande, gest. 1890 in Auvers-sur-Oise, Frankreich), Brücke im Regen, Malerei, 1887, Öl auf Leinwand, 73,3 x 53,8 cm, Van Gogh Museum, Amsterdam, Niederlande, Public Domain, Bild: vangoghmuseum.nl

Abb. 6: Kuroda Seiki (geb. 1866 in Kagoshima, Japan, gest. 1924 in Tokyo, Japan), Maiko, Gemälde, 1893, Öl auf Leinwand, 80,4 x 65,3 cm, Tokyo National Museum, Tokyo, Japan, Public Domain, Bild: tnm.jp

Globale Kunstgeschichte im Museum

Auch bei Museen werden verstärkt neue Methoden und kuratorische Strategien für die Betrachtung der eigenen Sammlung entwickelt. Insbesondere enzyklopädische Museen* nähern sich der bisherigen Präsentation zunehmend kritisch und experimentieren mit innovativen Konzepten, die globale kulturelle Verflechtungen berücksichtigen. Diese Bemühungen zielen darauf ab, die Kunstgeschichte aus einer zunehmend globalen Perspektive zu betrachten und diverse Besucher:innengruppen anzusprechen.

Enzyklopädische Museen:
Diese Museen beherbergen umfassende und vielfältige Sammlungen aus verschiedenen Bereichen und Epochen, die ein breites Spektrum an Themen und Objekten abdecken. Das Ziel enzyklopädischer Museen ist es, einen Überblick über die Menschheitsgeschichte und ihre Kulturen zu bieten. Beispiele für enzyklopädische Museen sind das British Museum in London, das Metropolitan Museum of Art in New York oder die Staatlichen Museen zu Berlin auf der Museumsinsel.

Crossroads im Metropolitan Museum of Art

Das Metropolitan Museum of Art in New York präsentierte von 2020 bis Juli 2022 die Sammlungsausstellung “Crossroads”: An zwei Orten im Museum wurden Neuinstallationen ausgesuchter Sammlungsobjekte die Idee der kulturellen Verbundenheit untersucht. Dafür wurden Kunstwerke, die zuvor in unterschiedlichen Sammlungsbereichen ausgestellt waren, miteinander in Beziehung gesetzt, wodurch Fragen nach gemeinsamen Ideen und künstlerischen Formen aufgeworfen wurden. Auf diese Weise wurde die globale Geschichte der Menschheit als eine Erzählung von Überschneidungen und Austausch neu interpretiert.

Metropolitan Museum of Art, Installationsansicht “Crossroads”, 2020, Bild: theartnewspaper.com

Blick in die Ausstellung

In der Ausstellung “Power and Piety” aus der Reihe “Crossroads” wurde der Marmorkopf des römischen Kaisers Konstantin des Großen aus dem 4. Jahrhundert (Mitte) auf einem Podest neben der Monumentalskulptur der Regengottheit Chahk der Maya aus dem 9. Jahrhundert (links) und dem kambodschanischen Stehenden achtarmigen Avalokiteshvara, der Bodhisattva des unendlichen Mitgefühls aus dem späten 12. Jahrhundert (rechts) präsentiert. Das Ensemble wurde ergänzt durch eine südniederländische Darstellung der Jungfrau mit Kind aus dem Jahr 1345 (hinten links, Rückenansicht).

In sämtlichen Objekte kamen komplexe Vorstellungen von politischer oder spiritueller Macht zum Ausdruck: Skulpturen aus verschiedenen Kulturräumen brachten die weltliche und die himmlische Sphäre zusammen, sei es durch Herrscherbilder, die eine Verbindung zu höheren Mächten herstellten, oder durch Darstellung, die den Gläubigen göttlichen Beistand vermittelten.

Unbekannte:r Künstler:in, Ankunft der Europäer, Malerei, erstes Viertel des 17. Jahrhunderts (Edo-Zeit (1615 – 1868)), ein Paar sechsteilige Paravents mit Tusche, Farbe, Gold und Blattgold auf Papier, je 105,1 x 260,7 cm, aus Japan, Metropolitan Museum of Art, New York, NY, Public Domain, CC BY-NC-ND 4.0, Bild: metmuseum.org

Blick in die Ausstellung

Die zweite Ausstellung in der Reihe, “Empires and Emporia”, widmete sich den kulturellen Auswirkungen des Kontakts zwischen Menschen aus Asien, Amerika und Europa im 16. Jahrhundert.

In diese Zeit fallen die Ankunft portugiesischer Kaufleute in China und Japan, die Eroberung der Philippinen durch die Spanier und die Einrichtung einer transpazifischen Handelsroute zwischen Manila und Acapulco. Getrieben vom spanisch-amerikanischen Silber und der Nachfrage nach asiatischen Luxusgütern wie Seide und Porzellan, hinterließ der transozeanische Handel von Menschen, Dingen und Ideen sichtbare Spuren in Kunstwerken der beteiligten Kulturen. Heute sind sie ein lebendiges Zeugnis der komplexen Dynamiken von menschlichen Begegnungen und Austausch.

WeltKultur / GlobalCulture im Badischen Landesmuseum

In Deutschland setzte sich beispielsweise das Badische Landesmuseum bei “WeltKultur / GlobalCulture” jüngst mit der eigenen Sammlung und Sammlungsgeschichte auseinander. 

Das Ausstellungskonzept basierte auf der Vorstellung einer universal verbundenen Menschheit und dem Phänomen einer globalen Kultur. Dabei orientierte sich das Museum nicht wie ein Völkerkundemuseum an einem ethnografischen Ansatz, sondern an einem “polykulturellen Kulturvergleich”2 der wechselseitigen Beeinflussung und der aktiven Beziehungen der Kulturen der Welt.

Die Ausstellung zeigte, dass die Unterschiede zwischen Kulturen nicht das Entscheidende sind, sondern dass die Geschichte der Menschheit vielmehr in dynamischen Prozessen ineinander fließt, wobei unterschiedliche Zivilisationen aus gemeinsamen Quellen schöpfen.

Durch die Gegenüberstellung von Objekten europäischer und außereuropäischer Kulturen entstanden Wechselbeziehungen, die die Grenzen der Kunst- und Kulturgeschichte zugunsten globaler Narrative überwanden.

Mit dem historischen Rückblick, dass die bisher gängige Definition von kultureller Identität und Zugehörigkeit aus dem Geist des Nationalbewusstseins im 19. Jahrhunderts stammt, bot das Badische Landesmuseum die “Besinnung auf das große Erbe der Gemeinsamkeiten”3 als Gegenentwurf an.

2 in: Badisches Landesmuseum, WeltKultur / GlobalCulture, 2014, S. 7.

3 in: Badisches Landesmuseum, WeltKultur / GlobalCulture, 2014, S. 23.

Badisches Landesmuseum, Blick in die Ausstellung mit der Vitrine “Masken aus aller Welt”, Installationsansicht “Welt-Kultur / GlobalCulture”, 2022,
Foto: Nathalie Krall

Abbildungen (v.l.n.r.):

Unbekannte:r Künstler:in, Maske gegen unbefugten Zutritt, Mitte des 20. Jh., Holz, 89,0 x 55,0 x 8,0 cm, aus Papua-Neuguinea, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe, Public Domain, CC 1.0 DEED, Bild: katalog.landesmuseum.de

Willy Trost, Klaubaufmaske aus Matrei in Osttirol, um 1970, Fichtenholz, geschnitzt und farbig gefasst, 27,0 x 17,0 x 11,0 cm, aus Matrei, Tirol, Österreich, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe, Public Domain, CC 1.0 DEED, Bild: katalog.landesmuseum.de

Unbekannte:r Künstler:in, Tempeltür mit Maske der Gottheit Mahakala, 19. Jh., bemalte Leinwand auf Holz, 186,8 x 85,6 x 7,8 cm, aus Tibet, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe, Public Domain, CC 1.0 DEED, Foto: Thomas Goldschmidt, Bild: katalog.landesmuseum.de

Blick in die Ausstellung

Zum Thema “Masken aus aller Welt” präsentierte die Ausstellung “WeltKultur / GlobalCulture” eine apotropäische* Maske aus Papua-Neuguinea, neben einer Maske aus dem Perchtenlauf des österreichischen Brauchtums und einer tibetanischen Tempeltür mit der Maske der Gottheit Mahakala.

Im alten Tibet besaß jedes Kloster und jeder Tempel den Gongkhang. Türen mit der Maske der Gottheit Mahakala schützten den geheimen Tempelzugang, der nur eingeweihten Mänchen vorbehalten war.

In vielen Kulturen seit der Antike finden Masken im religiösen Ritual oder im Theater Verwendung. Sie sind Ausdruck von Projektionen des Menschen in erdachte Rollen, Verkörperungen nicht real existierender Menschen, auch Ausdruck kultureller Identität.

Fastnachtsmasken, Künstlermasken, historischen Theater-, Gesellschafts- oder Schandmasken: Die Auswahl zeigt, dass der Maskengebrauch als ein Mittel menschlicher Kommunikation von Repräsentation und Spott bis Schutz reicht.

(Saaltext)

apotropäisch:
griechisch: abwenden; Gegenstände, Rituale oder symbolische Handlungen, die Unheil, Zauberei, den “bösen Blick” oder andere üble Einflüsse abwenden sollen.

Beispiele für apotropäische Objekte oder Darstellungen sind das blaue, augenförmige Nazar-Amulett (Türkei, Griechenland, Orient, Zentral- und Südasien), die “Hand der Fatima” (islamisches Nordafrika und Naher Osten), das Gorgoneion oder Medusenhaupt der griechischen Mythologie, das Fascinum mit erigiertem Phallus der Römer oder die Sheela-na-Gig, die sich heute vorrangig noch an sakralen Gebäuden in Irland und Großbritannien finden.

museum global in der Kunstsammlung NRW

Mit der Ausstellung “museum global. Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne” wandte sich 2018 das K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen auch als Kunstmuseum dem Thema Globalität zu.

Als Ergebnis einer kritischen Beschäftigung mit der eigenen Sammlung wurden transkulturelle Beispiele aus verschiedenen Regionen der Welt präsentiert, die in den Dialog mit Objekten der hauseigenen Dauerausstellung traten. Kunstwerke aus Japan, Georgien, Brasilien, Mexiko, Indien, dem Libanon oder Nigeria aus der Zeit von 1910 bis 1960 erzählten auf diese Weise Mikrogeschichten einer kritischen Neubewertung der Moderne aus globaler Perspektive “jenseits des ‘westlichen’ Kanons”4.

4 in: Kunstsammlung. “museum global. Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne”. kunstsammlung.de

Badisches Landesmuseum, Blick in die Ausstellung mit der Vitrine “Masken aus aller Welt”, Installationsansicht “Welt-Kultur / GlobalCulture”, 2022,
Foto: Nathalie Krall

Abbildungen (v.l.n.r.):

Diego Rivera (geb. 1886 in Guanajuato, Mexiko, gest. 1957 in Mexiko-Stadt), Die Lehrerin auf dem Land, Wandmalerei, ca. 1923 – 1928, Freskomalerei, “Hof der Arbeit”, Secretaría de Educación Pública, Mexiko-Stadt, Foto: Achim Kukulies, Bild: kunstsammlung.de

Amedeo Modigliani (geb. 1884 in Livorno, Italien, gest. 1920 in Paris, Frankreich), Bildnis Diego Rivera, Malerei, 1914, Öl auf Karton, 186,8 x 85,6 x 7,8 cm, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Public Domain, Bild: kunstsammlung.de

Blick in die Ausstellung

Zwei Werke im Dialog: Die  Ausstellung “museum global” zeigte die Reproduktion des Wandgemäldes Die Lehrerin auf dem Land aus der Serie “Hof der Arbeit” von Diego Rivera (1886 – 1957) neben einem Bildnis des mexikanischen Künstlers, das der italienische Maler und Bildhauer Amedeo Modigliani (1884 – 1920) im Jahr 1914 in Paris schuf.

Kunstforschung

In den Verbänden für Kunstgeschichte, Kunstwissenschaft und Kulturwissenschaften gibt es ebenfalls eine wachsende Bewegung, die die Kunstforschung aus einer neuen, globalen Perspektive betrachtet. Diese Strömung strebt eine kritische Erneuerung der Disziplin jenseits eurozentrischer Prämissen an.

Im Jahr 2019 bildete sich im Ulmer Verein – Verband für Kunst- und Kulturwissenschaften e.V. die Arbeitsgruppe “edk” (Ende der Kunstgeschichte). Diese Initiative von Studierenden und Absolventen setzt sich für eine grundlegende Neuausrichtung der Kunstgeschichte ein.

Unser Ziel ist es jeweils, Grenzen zu lokalisieren und neu zu definieren, bestehende Hierarchien transparent zu machen und abzubauen. Oder programmatischer: Handlungsspielräume für eine Zukunft der Kunstgeschichte öffnen.

(edk, Ulmer Verein)

Der Deutsche Verband für Kunstgeschichte e.V. geht noch einen Schritt weiter und nähert sich dem Thema innerhalb des “Forum Kunstgeschichte inklusiv” mit einem intersektionalen* Ansatz. Durch die Verbindung verschiedener Aspekte von Marginalisierung und Diskriminierung will das Forum die Kunstgeschichte für diverse Narrative, Sichtweisen und Erfahrungshorizonte öffnen.

 intersektional: Ansatz, der die Überschneidungen und Wechselwirkungen verschiedener Formen von Diskriminierung und Unterdrückung anerkennt und analysiert; auf der Erkenntnis basierend, dass Menschen aufgrund der Verwobenheit mehrerer Identitätsmerkmale wie Geschlecht, Ethnizität, Religion, Behinderung etc. mehrdimensionale Formen der Benachteiligung erfahren können, zielt Intersektionalität darauf ab, Privilegien und Marginalisierung differenziert zu erfassen, indem über einzelne Kategorien hinausgedacht und das Zusammenspiel unterschiedlicher Unterdrückungsmechanismen betrachtet wird.

Kunstgeschichte inklusiv, “Fachforum Inklusiv auf dem 36. Deutschen Kunsthistorikertags”, 27.05.2022 (letzte Aktualisierung), via youtube.com

Globale Kunstgeschichte und Nachhaltigkeit

Durch ihren multiperspektivischen, vielfältigen und gerechteren Ansatz berührt die Globale Kunstgeschichte mehrere der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen:

Bildung für globales Bewusstsein (SDG 4)

Die Würdigung globaler Kunsttraditionen und die Förderung interkultureller Kompetenzen leisten einen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung und weltbürgerliche Werte.

Gleichberechtigung und Inklusion (SDG 5 & 10)

Durch die Einbeziehung marginalisierter Perspektiven kann Ungleichheiten entgegengewirkt und die Geschlechtergleichstellung sowie die Inklusion aller gefördert werden.

Schutz des Weltkulturerbes (SDG 11)

Die Globale Kunstgeschichte erhöht die Wertschätzung anderer Kulturen. Dieses Bewusstsein fördert Aktivitäten für den Schutz unseres gemeinsamen Weltkultur- und -naturerbes.

Frieden und Gerechtigkeit (SDG 16)

Ein diskursiver, kommunikativer und partizipativer Ansatz fördert den interkulturellen Dialog, das gegenseitige Verständnis und die Achtung kultureller Vielfalt – wichtige Voraussetzungen für Frieden und Gerechtigkeit.

Globale Partnerschaft (SDG 17)

Mit ihrem transnationalen Fokus stärkt die Globale Kunstgeschichte die internationale Zusammenarbeit für eine nachhaltige Entwicklung.

Fazit

Die Globale Kunstgeschichte würdigt Weltbilder im globalen Kontext und damit die Tatsache, dass unterschiedliche Kulturen sowohl heute als auch in der Vergangenheit lokal und global miteinander verbunden waren und sich gegenseitig fruchtbar beeinflussten. Durch einen respektvollen und gleichberechtigten Umgang mit den künstlerischen Errungenschaften aller Zivilisationen können endlich auch die Meisterwerke anderer Kulturen angemessen gewürdigt werden. Dieser Ansatz ermöglicht ein besseres Verständnis für die Vielfalt und Vernetzung der Weltkunstgeschichte.

In a time of nationalism, it’s important now more than ever to show the interconnectedness of cultures, and a certain joint cultural heritage.

(Max Hollein, Director Metropolitan Museum of Art)

Letztlich stellt die Globale Kunstgeschichte eine zentrale Frage unserer Zeit: Kann die Kunst ein Weg zu einer friedlicheren und nachhaltigeren Welt sein?

👉Was meint ihr? Wir sind gespannt auf eure Meinungen! Schreibt uns gerne einen Kommentar!

Unser Hauptbild

James Paterson (geb. 1854 in Blantyre, Schottlan, gest. 1932 in Edinburgh, Schottland), Stillleben: Persisch, Japanisch, Niederländisch, Gemälde, 1918, Öl auf Leinwand, 58,5 x 48,0 cm, The Potteries Museum & Art Gallery, Stoke-on-Trent, UK, Bild: The Potteries Museum & Art Gallery, via artuk.org

Weiterführende Literatur

Allerstorfer, Julia, Leisch-Kiesl, Monika (Hg.). Global Art History. Transkulturelle Verortungen von Kunst und Kunstwissenschaft. Linzer Beiträge zur Kunstwissenschaft und Philosophie, Band 8. Bielefeld: transcript Verlag. 2017. https://dokumen.pub/global-art-history-transkulturelle-verortungen-von-kunst-und-kunstwissenschaft-9783839440612.html (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Amnesty International. “Was sind indigene Völker?” 2019. https://amnesty-indigene.de/begriff/ (zuletzt besucht: 13.05.2024).

Badisches Landesmuseum. “WeltKultur / GlobalCulture”. https://www.landesmuseum.de/museum-im-schloss/sammlungsausstellungen/weltkultur-/-globalculture (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Badisches Landesmuseum. WeltKultur / GlobalCulture. Karlsruhe: Lindemanns Bibliothek, Info Verlag. 2014.

Cris / art24. “Kunstbegegnung: KUNTS & INTERKULTURALITÄT – Der kreative Dialog zwischen den Kulturen”. https://art24.world/de/blog/018b9089-2443-7a59-a34f-3c20376d0bba/kunstbegegnung-kunst-interkulturalitat-der-kreative-dialog-zwischen-den-kulturen-von-cris-teil-i (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Deutsche UNESCO-Kommission. “Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen.” 2023. https://www.unesco.de/sites/default/files/2023-12/DUK_Konventionstexte_Vielfalt_Web.pdf (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Deutscher Verband für Kunstgeschichte e.V. “Forum Kunstgeschichte inklusiv”. https://kunstgeschichte.org/foren/forum-kunstgeschichte-inklusiv/ (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Greve, Anna. “IV. Globale Kunstgeschichte.” In: Farbe – Macht – Körper. Kritische Weißseinsforschung in der europäischen Kunstgeschichte. Karlsruhe: KIT Scientific Publishing. 2013. https://books.openedition.org/ksp/275 (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Higgins, Sabrina. “Divine Mothers: The Influence of Isis on the Virgin Mary in Egyptian Lactans-Iconography”. Journal of the Canadian Society for Coptic Studies. 3 – 4. S. 71 – 90. https://www.researchgate.net/figure/Limestone-statuette-of-Isis-lactans-from-Akhmim-fourth-century-CE-Staatliche-Museen_fig5_312192708 (zuletzt besucht: 13.05.2024).

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. “museum global. Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne”. 2018. https://www.kunstsammlung.de/de/exhibitions-archive/museum-global-mikrogeschichten-einer-ex-zentrischen-moderne (zuletzt besucht: 14.05.2024).

Mersmann, Birgit. Über die Grenzen des Bildes: Kulturelle Differenz und transkulturelle Dynamik im globalen Feld der Kunst. Bielefeld: transcript Verlag. 2021. https://www.transcript-open.de/isbn/5147 (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Metropolitan Museum of Art. “Crossroads”. https://www.metmuseum.org/de/exhibitions/crossroads (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Mullins, Charlotte. Die Geschichte der Kunst. Neu erzählt von Charlotte Mullins. München: C.H. Beck. 2023.

‌Rustler, Katharina. “Mehr globaler Süden und Frauen: Ein Buch mischt den Kanon der Kunst auf.” In: Der Standard. 14.12.2023. https://www.derstandard.de/story/3000000199545/wie-ein-neues-buch-den-kanon-der-kunst-aufmischt (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Schröter, Jens. “Bild global”. In: Bonner Enzyklopädie der Globalität. 2018. Pre-Print. https://www.academia.edu/22294563/Bild_global (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Thackara, Tess. “New York’s Met renounces ‘outdated’ divisions of encyclopaedic museums for its 150th anniversary.” The Art Newspaper. 2020. https://www.theartnewspaper.com/2020/04/07/new-yorks-met-renounces-outdated-divisions-of-encyclopaedic-museums-for-its-150th-anniversary (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Technische Hochschule Nürnberg. “Interkulturalität vs. Transkulturalität”. o.D. https://www.th-nuernberg.de/fileadmin/kompetenzzentren/komgedi/Dokumente/vortrag_inter_transkulturalitaet.pdf (zuletzt besucht: 13.05.2024).

Ulmer Verein e.V. “edk (ende der kunstgeschichte”. http://www.ulmer-verein.de/?page_id=14843 (zuletzt besucht: 12.05.2024).

Über die Autorin

Nathalie Krall, M.A.

Nathalie ist freiberufliche Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Dozentin für Kunstgeschichte. Bei THE ARTIST LIAISON begleitet sie soloselbständig zeitgenössische Künstler:innen auf ihrem Weg in der Kunstwelt. Als Mitgründerin, Geschäftsführerin und Chief Creative Officer von collectAR fördert sie mit Hilfe von Augmented Reality und einem emotional-wissenschaftlichen Storytelling ein ganz neues Erleben von Kunstwerken im digitalen Raum und sorgt so für eine zeitgemäße und zukunftsweisende Bewahrung unseres kulturellen Erbes. Nathalie ist Initiatorin des ArtVenture Clubs und Mitglied des Vorstands.

Zitiervorgabe

Text:
Nathalie Krall, M.A.

Zitiervorgabe:
Krall, Nathalie. “Globale Kunstgeschichte.” ArtVenture Club, 12.05.2024.
https://www.artventureclub.org/kunstweltglossar/g/globale-kunstgeschichte/.

Verwendungshinweis:
Die Autorin erteilt die Erlaubnis, erweiterte Zitate aus dem Textmaterial zu verwenden. Im Falle eines Zitats muss die Originalquelle vollständig angegeben werden. Jede weitere Verwendung dieser Inhalte bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Urheberin.

zuletzt bearbeitet am:
20. Mai 2024

Permalink:
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